ERP-Releasewechsel – böse Überraschung?

Studie bestätigt subjektive Wahrnehmung

Die aktuelle ERP-Zufriedenheitsstudie der Trovarit AG zeigt als einen der wesentlichen Punkte, der sich durch alle Systeme zieht, das Thema der „Releasefähigkeit“ auf. Die Schwankungsbreite der Kundenzufriedenheit ist durchaus sehenswert groß. Dazu meine subjektive Wahrnehmung der beiden letzten Jahre: Vermehrt kommen Neuauswahlprojekte deshalb auf den Markt, weil  – durchaus zufriedene – Kunden nicht mehr bereit sind für einen Releasewechsel gleich viel Geld wie für eine Neuinstallation auszugeben.

Vor allem dann nicht, wenn die Änderungen im GUI auch noch so tiefgreifend sind, dass alle Mitarbeiter neu zu schulen sind.

Warum Releaswechsel?

Die Gründe, warum Hersteller Releasewechsel (aus Platzgründen unterscheide ich nicht zwischen Releases, Update, Patches, Enhancementpackages, …) anbieten müssen sind sehr unterschiedlich. Nur mehr Wenige entstehen aus gesetzlichen Änderungen – aber gerne werden diese als Argument der Hersteller genommen um „leider einen Releasewechsel durchführen zu müssen“. Das legitimes Ziel der Hersteller ist es, so wenige alte Releases wie nur möglich noch im Feld zu haben. Das senkt den Pflegeaufwand und damit – zumindest theoretisch – auch die Kosten für die Anwenderunternehmen. Oft sind es technologische Veränderungen wie die Unterstützung neuer Endgeräte (Smartphones, Tablets,…), die Kunden von den Herstellern fordern. Und wer will heute noch vor einer grünen Oberfläche mit 24×80 Zeichen und ohne Maus arbeiten J ? Neue Funktionen/Module oder schlichtweg Fehlerbehebungen werden oft nur mit einem neuen Release eingespielt – über die neuen Fehler schreibe ich auch nicht.

Es wird modernisiert – und zwar gnadenlos!

Mit massiven Modernisierungen macht so mancher Hersteller einen Befreiungsschlag, wirft Bewährtes über Bord und lässt ein neues Team bei null beginnen. Am besten ohne Rücksichtsicht auf die bisherige Funktionalität , weil auf der grünen Wiese programmiert es sich doch viel freier. So erlebt Mitte der 2000er bei einem Variantenkonfigurator: „Lieber Kunde Pech gehabt! Das Modul verwenden nur 60 Kunden – also unter 1 Prozent und damit gibt es dafür kein Übernahmetool – diesmal musst Du alles neu eingeben“.

Ist das „normal“? Oder nur Gewohnheit?

Releasewechsleaufwände von 40 Tagen aufwärts werden ab einer gewissen Menge Individualanpassungen von den Kunden schon als normal betrachtet. Schließlich kennt man ja gerade von größeren Installationen Zahlen, die auch ein Vielfaches davon ausmachen. Das diese Dienstleistungen oft von Partnern (nicht Herstellern!) erbracht werden, bringt die Partner in einen Zwiespalt, den sie mit ein wenig Entgegenkommen lösen. Auch wenn sie, die Partner, unglücklich über den Aufwand sind, so „können sie dagegen halt nichts machen! Der Hersteller hat das vorgegeben.“ Da sie mit ihren Kunden mit-leiden (oder Solches haben) geben sie Rabatt auf die Dienstleistung und überbrücken die Absatzflauten im Neukundenbereich mit Releasewechselumsätzen.

Geht’s auch anders?

JA! Es geht! – Allerdings muss man es wollen. Ich selbst habe an der Entwicklung eines solchen ERP-Systems von 1984 – 1997 mitgearbeitet. Wenn bei jeder Programmerweiterung die Releasekompatibilität konsequent mitgedacht wird, dann könnte man an 70 Kunden am Freitag gleichzeitig ein Magnetband senden (ja sowas war das damals) und alle arbeiten am Montag früh einfach mit dem neuen Release weiter. Auch heute gibt solche Hersteller, die mit dieser Philosophie wenig überraschend seit vielen Jahren hohe Kundenzufriedenheitswerte abräumen.

ACHTUNG: Dieser Absatz geht nur an ERP-Anbieter!

Sind Sie ein ERP-Anwender? Dann bitte JETZT die Augen zu machen. Liebe Anbieter, Hand aufs Herz, die Releasewechselaufwände sind doch für den Kunden hochgradig unproduktiv und entbehrlich – genaugenommen nur sinnlose Vernichtung volkswirtschaftlicher Ressourcen. Es gibt wirklich welche unter Euch, wo man, egal wie viele Anpassungen man gemacht hat, zu externem Aufwand unter einer Woche (!) einen Releasewechsel durchführen kann! Und die garantieren das sogar für 10+ Jahre! ERP-Anwender wieder Augen auf.

Trotzdem nicht das alleinige Kriterium

Sollten sie nun meinen, dass sie mit diesem Tipp alles andere außen vorbei lassen können, muss ich Sie leider enttäuschen: Dieser Aspekt ist zwar aus der Gesamtkostensicht ein ganz wesentlicher, aber eben nur einer von Vielen, die gegeneinander abzuwägen sind. Und es gibt durchaus gute Gründe für andere Systeme. Vorher prüfen dann entscheiden!

Wesentlich ist, bei der Auswahl des ERP-Systems methodisch und strukturiert vorzugehen. Nach Möglichkeit alle wesentlichen Aspekte zu kennen und dann bewusst zu entscheiden. Das schützt vor dem bösen Erwachen nach ein paar Jahren und dem „Hätti-Wari!“-Effekt. Es kann auch das teurere System sein, wenn andere Aspekte dafür sprechen – aber Hauptsache bewusst entschieden!

Ihr Michael Schober

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