1.9.1939 – ein historisches Kind
1.9.1939 – ein historisches Kind Der 2. Weltkrieg beginnt „offiziell“ …
… am 1.9.1939 4:45 mit dem Einmarsch in Polen. Wie bei fast allen Kriegen, war die Industrie ein, wenn nicht DER wesentlicher Profiteur der Aufrüstung. Techniker hatten Ressourcen für Forschung und Entwicklung (Wernher von Braun & Co). Großindustrielle wurden noch größer und Reicher. Am selben Tag in genau derselben Stunde kam in Wien auch ein Mädchen zur Welt. Bei der Eintragung von Rosalia in das Melderegister soll die Nazistandesbeamtin gemeint haben „Das ist ein historisch bedeutsames Kind!“ – Ihre Mutter war da ganz anderer Meinung.
Aufpassen was man sagt!
Maria, Rosis Mutter soll über Hitler laut gesagt haben „Wegen dem G’frast sind mein Mann und mein Sohn an der Front“. Im selben Haus wie Rosi wohnte der kleine Günter. Sein Papa ging immer mit einer großen Aktentasche in der Früh weg und kam mit derselben am Abend nach Hause. Beim Spielen mit dem Günter hat die Rosi eine Uniform im Kasten gesehen. Ihrer Mama hat sie dann erzählt „Du dem Günter sein Papa hat auch so eine SA-Uniform“. Die hatte er wohl immer in der Aktentasche versteckt – und was die Maria sagte schein ihm zum Glück nicht so wichtig gewesen zu sein.
Sandkisten „Marke Bombentrichter“
Die kleine Rosi, die Tochter eines steirischen Bergmannes, der nach einem Grubenunfall nicht mehr in den Berg konnte. Mit Hilfsarbeiten versorgten er und seine Frau die Familie in Meidling. Ein Industriebezirk in dem schon damals mit Schrack und Kapsch dieselben Betriebe angesiedelt waren wie heute und mit Anschluss an die Pottendorfer Bahnlinie. Alles Primärziele für die Luftangriffe der Alliierten. „Als Kind bekommt man das nicht so mit“, erzählte die Rosi mir zu ihrem 75. Geburtstag „die Bombentrichter waren aufgereiht wie eine Perlenschnur neben der Bahn und wir haben darin gespielt“.
Zäh wie Leder hart wie Kruppstahl!
Wenn sie nicht auf den autoleeren Straßen oder in den Bombentrichtern spielte, dann war die Rosi im Luftschutzkeller. Rosi kurierte alle Kinderkrankheiten in einem Waschtrog im Keller betreut von den Nachbarn aus. Zumeist getrennt von ihrer Mutter, die an Klaustrophobie litt und nie nach unten ging. Für ein Vorschulkind eine Abhärtung der ganz besonderen Art. Dumpfe Einschläge, hohes Fieber, Ungewissheit wo die Mutter ist – aber sie war ja ein historisches bedeutsames Kind!
Endlich Schule! – Endlich lernen!
Dachte sich Rosi als sie mit der Mutter Anfang 1945 zur Anmeldung ging. „Guten Tag!“ sagte Maria – und „Gehen Sie raus und kommen sie mit dem Deutschen Gruß nochmals herein!“ – antwortete forsch eine linientreue Beamtin. Die Mutter soll gesagt haben „Die können mich!“ – Rosi weinte und bettelte bis Maria sich auf die Lippen biss und „es“ für die Tochter doch aussprach, das „Heil …“. Beim Schulantritt waren die Kinderkrankheiten und das tausendjährige Reich gottseidank ausge“heilt“!!
Wiederholt sich die Geschichte fortwährend?
Vielleicht war es die Abhärtung im Waschtrog und nicht nur die moderne Medizin, die die Rosalia 17 Jahre nach der ersten Krebsdiagnose doch noch 75 werden ließ? Während die „historisch bedeutsame“ wieder sehr kleine Rosi in aller Stille und von der Weltgeschichte unbemerkt kurz nach dem 75er austherapiert in die Palliativstation übersiedelte, wurde in der Ostukraine und in Syrien gekämpft. Nur die zwei prominentesten Krisenherde des Herbstes 2014. Irgendwo auf der Welt wurden Rüstungsbudgets dafür gewidmet um zu forschen. Haben sich Techniker damit beschäftigt Waffen zu entwickeln, die auf dunklen Kanälen an alle kriegsführenden Parteien verkauft werden und Konzerne sehr viel Geld damit verdienen.
There will be one child born to carry on!
Seit dem 18. Oktober 2014 um 2:45 muss die Weltgeschichte wieder ohne das historische Kind auskommen. Sicher wurde in dieser Stunde in irgendeinem der Krisengebiete und Flüchtlingslager wieder ein Kind geboren. Vielleicht eines, das dazu beiträgt, dass die Menschheit lernt, dass es Alternativen zum Krieg als Vater aller Dinge gibt? Lernt, dass unsere Wachstumsökonomie fast ausweglos immer zu einer großen Wertevernichtung führen muss um wieder bei fast Null beginnen zu können?
Techniker: Sagt nein!
Ich bin kein Utopist, der glaubt, dass NEIN sagen allein hilft, aber vielleicht kann es ein wenig zur Veränderung beitragen, wenn mehr Techniker sich der Entwicklung von Waffen- und Vernichtungstechnologie entziehen. Mit Rosis Nazibeamtinnen und Lise Meitner im Kopf muss ich im letzten Satz wohl auf TechnikerInnen korrigieren. Ich habe keine Statistik, die die Menschenleben führt, die durch die „Mach’s ich nicht – macht’s ein anderer!“ Mentalität sinnlos gestorben sind.
In der Hoffnung auf ein anderes historisch bedeutsames Kind, ein wenig weihnachtlich und in Gedanken bei Rosalia Maria Magdalena Schober geb. Steinwider 1.9.1939 – 18.10.2014 möchte ich damit für dieses Jahr schließen.
Ihr Michael Schober
Ja da hab ich es durch die Gnade der späteren Geburt besser getroffen als meine Kusine Rosalia Maria. Wenn auch meine Jugend nicht so rosig war. Mein Vater Rupert, der jüngere Bruder von Rosalias Vater Johann, ist im Bergbau Fohnsdorf 1949 tödlich verunglückt.
Ich habe erst jetzt als privater Ahnenforscher die Spuren nach Wien verfolgt, leider zu spät um Meine Kusine noch persönlich kennen zu lernen.
Die Steinwiders stammen vom Krautmoserhof in Möderbrugg Gemeinde Pölstal bis zurück ins 17.Jahrhundert. Ein ausführlicher Stammbaum der Steinwiders ist in Bearbeitung.